Veranstaltung: | 51. Landesparteitag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sachsen-Anhalt |
---|---|
Tagesordnungspunkt: | 6. Anträge |
Antragsteller*in: | LAG Digitales und Medien (dort beschlossen am: 10.10.2024) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 24.10.2024, 20:54 |
A2: Demografischer Wandel und Digitale Transformation in Sachsen-Anhalt
Antragstext
Staatliche Handlungsfähigkeit und marode Infrastruktur werden das Thema der
nächsten Legislatur werden. Warum muss man für einen Behördengang einen Weg
zurücklegen, wenn es ausreichend wäre, nur die benötigten Informationen zu
übertragen?
Der demografische Wandel stellt die Verwaltung in Sachsen-Anhalt vor große
Herausforderungen, konsequente digitale Transformation bietet jedoch enorme
Chancen, diese Herausforderung zu bewältigen. Um die Verwaltung zukunftsfähig zu
gestalten, müssen beide Themenfelder Hand in Hand gedacht und digitale
Transformation umgesetzt werden.
Mit 107 Einwohnern pro Quadratkilometer ist Sachsen-Anhalt dünn besiedelt und
hatte 2022 mit einem Durchschnittsalter von 47,9 Jahren die bundesweit älteste
Bevölkerung. Diese Altersstruktur macht auch vor der öffentlichen Verwaltung in
Sachsen-Anhalt keinen Halt. Sie ist somit ein Abbild der restlichen Bevölkerung,
mit ähnlichen Problemen und Herausforderungen. Von den 2,1 Millionen Einwohnern
sind 790.000 älter als 60 Jahre und 1,12 Millionen älter als 50 Jahre. Mit
anderen Worten: Wir können erwarten, dass innerhalb der nächsten 15 Jahre
300.000 Menschen im arbeitsfähigen Alter in Rente gehen und sich der
Gesamtanteil der arbeitsfähigen Personen drastisch verringert (Quelle:
Demografie-Portal). Politik und Verwaltung selbst müssen rechtzeitig Antworten
darauf formulieren und umsetzen.
1. Demokratie und funktionaler Staat
„Demokratie“ bedeutet übersetzt „Herrschaft des Volkes“. Die heutige liberal-
parlamentarische Demokratie basiert auf den Prinzipien der Volkssouveränität,
Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung, dem Schutz von Minderheiten und
Opposition, freien Wahlen, einer aktiven Zivilgesellschaft sowie der Wahrung von
Grundrechten für alle Bürger*innen. All das gilt auch für den digitalen Raum und
erfordert entsprechende Schutzmaßnahmen.
Staatliches Handeln ist eng mit der Wahrnehmung von "Politik" und dem Vertrauen
in die Demokratie verbunden. Wenn der Zugang zu staatlichen Leistungen für
Bürger*innen und Unternehmen kompliziert ist und Entscheidungen lange dauern,
schwächt dies nicht nur die Handlungsunfähigkeit des Staates selbst, sondern
gefährdet die Stabilität der Demokratie als solches.
Eine digital arbeitende und digital vernetzte Verwaltung ist nicht nur
ortsunabhängig und flexibel, sondern auch schneller und resilienter gegen
plötzliche Änderungen in einer schnelllebigen Welt. Eine Verminderung der
Arbeitslast unserer Verwaltungen eröffnet ihnen Möglichkeiten und Ressourcen,
die dringend benötigt werden, um auch mit weniger Personal vollumfänglich
handlungsfähig zu bleiben.
Gleichwohl kann eine zentrale Datenhaltung und durchgängige Digitalisierung
Gefahren in kriminellen Sinne, aber auch im Sinne des Machtmissbrauchs der
Exekutive beinhalten. Cybersicherheit und Transparenz sind daher nicht nur
lästige Schlagworte, sondern dringende Notwendigkeit und by-design immer
mitzudenken.
Einer der größten Mehrwerte der Digitalisierung ist neben den offensichtlichen
technischen Vorteilen, die Notwendigkeit zur Überprüfung des Status-quo.
Bürokratieabbau kann nur gelingen, wenn dieser politisch gewollt ist und
gleichzeitig bottom-up von den Mitarbeitenden getragen wird. So kann eine
Transformation von Arbeitsweisen und Normen für eine neue bürgerfreundlichere
und effizientere Verwaltungskultur wirklich zum Durchbuch kommen.
Über Government-as-a-Plattform soll technisch eine standardisierte Cloud-
Infrastruktur bereitgestellt werden, in der digitale Lösungen und Basisdienste
entwickelt bzw. zur Verfügung stehen. Für eine effektive zentrale IT-Steuerung
und eine unterstützende Reform der Zuständigkeiten sind Anpassungen von Normen
und Gesetzen auf allen föderalen Ebenen erforderlich, z.B. zur Reform der
kommunalen Auftragsverwaltung wie bei der KfZ-Anmeldung mittels iKfZ-Online-
Dienst. Darüber hinaus sollte das "Einer-für-Alle"-Prinzip im Rahmen der
Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes 2.0 weiter gedacht werden und Shared Service
Center für digitale Verwaltungsleistungen eingerichtet werden.
Zentralisierung darf dabei aber kein Selbstzweck werden. Ziel der Reformen muss
vielmehr die Entlastung der Kommunen unter Wahrung der Kompetenz vor Ort sein.
2. Personalbedarf und Fachkräftemangel
Insbesondere im ländlichen Raum ist der Fachkräftemangel eine zunehmende
Herausforderung für die Verwaltung. Der demografische Wandel verschärft die
Situation, da immer weniger junge Menschen nachrücken, wenn ältere in den
Ruhestand gehen. Um dem entgegenzuwirken, müssen von Seiten des Landes den
ländlichen Raum stärken und innovative Ansätze in der Verwaltung fördern. Dazu
gehört unter anderem:
- Verstärkte Zusammenarbeit zwischen Land und Kommunen, um
Personalressourcen effektiver zu nutzen
- Attraktivere Arbeitsbedingungen im öffentlichen Dienst, um Fachkräfte zu
gewinnen und zu halten
- Flexible Arbeitsmodelle, die durch Digitalisierung unterstützt werden
3. Ganzheitliche Digitale Transformation statt Papierform nachdigitalisieren
Digitalisierung darf nicht nur die Übertragung analoger Prozesse in digitale
Formate bedeuten. Wir fordern, dass Verwaltungsprozesse von Grund auf digital
gedacht und umgesetzt werden.
Es ist notwendig, Betroffene zu Beteiligten zu machen und erfordert eine
Änderung der Arbeitskultur. Ziel ist nicht, zunächst einen perfekten Plan zu
erstellen und lange Zeit später umzusetzen, sondern agile Methoden zu wagen. Die
Sachbearbeitung wird so in die Digitalisierungsprozesse einbezogen. Dies
steigert die Effizienz und verbessert die Arbeitsabläufe.
Hierbei müssen:
- Bürger*innen und Unternehmen einen einfachen, nutzerfreundlichen und
einheitlichen Zugang zu Verwaltungsleistungen erhalten,
- die Nutzung von gemeinsamen mindestens bundesweiten technischen Standards
(einheitliche und einfache Benutzeroberflächen und -führung) gewahrt sein,
um für Transparenz und Einfachheit zu sorgen, idealerweise in einer
gemeinsamen "Deutschland-App."
4. Zusammenarbeit mit den Kommunen stärken
Eine zentrale Aufgabe muss die Stärkung der Kooperation zwischen Land und
Kommunen sein. Die Kommunale IT-Union (KITU) spielt dabei derzeit eine
Schlüsselrolle. Sie kann es ermöglichen, digitale Infrastrukturen gemeinsam zu
nutzen und Verwaltungsprozesse zu standardisieren. So können Kommunen ihre
Ressourcen bündeln und digitale Herausforderungen effizienter bewältigen.
Das Vorhandensein eigener digitaler Kompetenzen innerhalb der Verwaltungen führt
zu einer besseren Bewertung und Steuerung von externen Leistungen, die
eingekauft werden müssen. Hierdurch kann die Qualität besser bewertet werden,
was zu weniger aufwändigen Regressfällen führt. Idealerweise kann teures
Outsourcing so auch öfter vermieden werden.
5. Registermodernisierung als Rückgrat der Verwaltungsdigitalisierung
Eine moderne Verwaltung hängt von modernen Registern ab. Die
Registermodernisierung ist das Rückgrat der digitalen Verwaltung. Hierüber
werden die staatlichen Datenbanken (ehemals Aktenschränke) themenübergreifend
zugänglich gemacht, damit Bürger*innen und Unternehmen ihre Daten nur einmal
eingeben müssen und sie wieder abrufen können. Hierbei muss Datenschutz und
Cybersicherheit gewahrt sein.
Darüber hinaus fordern wir, dass Sachsen-Anhalt als OZG-Themenfeldführer für das
Thema Bildung diese Rolle auch bei der Registermodernisierung beibehält und ein
einheitliches Bildungsregister entwickelt. Dies ermöglicht die lebenslange
Bildungskarriere aller Menschen, von der Schule bis hin zur akademischen oder
beruflichen Qualifikation, sicher zugänglich zu machen.
6. Datensicherheit und Cybersicherheit
Die zunehmende Digitalisierung macht Verwaltungen anfällig für Cyberangriffe
(siehe Vorfall in Anhalt-Bitterfeld). Gerade in Zeiten hybrider Bedrohungen
durch hoch professionelle staatliche und krimininelle Angreifer ist es
essenziell, unsere Daten und Infrastrukturen zu schützen. Deshalb setzen wir uns
ein für:
- einen handlungsfähigen Staat, welcher seine Infrastrukturen und
Souveränität schützt, aber gleichzeitig die Bürger*innenrechte wahrt,
- den verstärkten Einsatz von Open-Source-Lösungen, um Abhängigkeiten zu
minimieren und Sicherheit zu erhöhen,
- Zentralisierte Rechenzentren und den Aufbau eines Security Operations
Centers (SOC), um Sicherheitsbedrohungen flächendeckend zu überwachen und
zu bekämpfen.
- Zentralisierung von hoch qualifiziertem sicherheitstechnischem Personal
zur optimierten Nutzung von Ressourcen.
7. Deutsche Verwaltungscloud als Standardisierungsinstrument
Die deutsche Verwaltungscloud soll eine einheitliche Basis als erstem Schritt
auf dem Weg zu Government-as-a-Plattform zu schaffen, um den Kommunen und
Verwaltungen in Sachsen-Anhalt eine schnelle Handlungsfähigkeit zu ermöglichen.
Sie trägt zur Standardisierung bei und hilft, Ressourcen effektiver zu nutzen.
(Cloudifizierung ist die Automatisierung der IT).
8. Landes-Datenstrategie
Durch die Entwicklung und Umsetzung einer umfassenden Datenstrategie kann
Sachsen-Anhalt die Chancen der Digitalisierung besser nutzen, die
Verwaltungseffizienz steigern und innovative Lösungen für die Herausforderungen
des Landes entwickeln.
Durch die strategische Nutzung und Vernetzung von Daten können neue Erkenntnisse
gewonnen und Innovationen gefördert werden. Dies ist besonders wichtig für die
Entwicklung von Smart Cities, Smart Regions und die Förderung digitaler
Innovationen. Darüber hinaus ist die Kenntnis der Datenlandschaft notwendig für
die Umsetzung der Registermodernisierung, der Cloud-Nutzung und der Anwendung
von KI im Land.
Für eine Landes-Datenstrategie sprechen darüber hinaus der Bedarf für
Standardisierung (wie von Datenformaten), Interoperabilität zwischen
verschiedenen Systemen, einheitliche Speicherung bis hin zur
Langzeitarchivierung und die Sicherstellung von Vertraulichkeit (Geheimschutz)
sowie von Schutzbedarfen.
Der Open-Data-Ansatz als Teil einer Datenstrategie setzt die weitgehende
Bereitstellung öffentlicher Daten zum Ziele der Transparenz (wie für
Journalismus, Forschung oder Zivilgesellschaft) und für die wirtschaftliche
Entwicklung voraus.
Im Zuge der Automatisierung müssen jedoch nicht immer alle Daten zentral,
beispielsweise in KI-Systeme, eingespeist werden. Vielmehr muss im Zentrum einer
Datenstrategie auch das Ziel einer Datensparsamkeit stehen. Missbräuchlicher
Zugriff auf Daten von Bürger*innen muss verhindert werden.
9. KI-Governance und Nachhaltigkeit
Der Einsatz von "Künstlicher Intelligenz" (KI) könnte enorme Potenziale bergen,
muss jedoch streng kontrolliert und überwacht werden. Der EU AI Act sieht klare
Vorgaben vor, doch Sachsen-Anhalt fehlt noch eine Governance für den
übergreifenden Einsatz von KI in der Verwaltung. Wir fordern:
- Ein Monitoring- und Controllingsystem für den KI-Einsatz in der Verwaltung
durch ein KI-Register erstellen.
- Nachhaltigen Infrastrukturen aufzubauen, da KI-Modelle viele Ressourcen
benötigen und im Sinne der Begrenzung des immensen Energieverbrauchs nur
dort eingesetzt werden sollten, wo sie wirklich sinnvoll sind.
- Aus- und Weiterbildung zum reflektierten Umgang mit KI zu etablieren, um
eine menschenzentrierte Digitalisierung sicherzustellen.
- Der KI-Trainingsprozess muss (Gender-, Weltanschauungs-...) neutrale
Ergebnisse sicherstellen.
- Menschliche Revision muss möglich sein und erklärbare KI sollte genutzt
werden.
10. Kosten
Mittel- bis langfristig kann ein gut umgesetzter Digitalprozess Ressourcen
einsparen. Durch einheitliche technische Lösungen und effizienten
Personaleinsatz ergeben sich Skalierungseffekte und Kosteneinsparungen. Vor dem
Hintergrund eines steigenden Verwaltungsaufwands z.B. durch Mobilitäts- und
Energiewende, ist jedoch in diesen Bereichen keine absolute Kostenersparnis
erwartbar. Für die Beibehaltung bisheriger Kosten oder für eine Kostensenkung
sind allerdings kurzfristig zunächst Investitionen notwendig. Die Vermeidung von
teuren Doppelstrukturen kann dafür Mittel bereitstellen.
Im Zuge der Neuordnung von Verwaltungsaufgaben durch die digitale Transformation
muss auch der Finanzausgleich über alle Verwaltungs- und Politikebenen hinweg
neu gestaltet werden.
Zusammenfassung
Der demografische Wandel, der Mangel an Fachkräften und der Vertrauensverlust in
Staat und Politik sind Herausforderungen, die nur gemeinsam bewältigt werden
können. Digitale Transformation geht über reine Schaufensterdigitalisierung
hinaus und ist ein sehr wirksames Mittel. Wir müssen die Verwaltung digitaler,
sicherer und effizienter gestalten, indem wir die Zusammenarbeit mit Kommunen
stärken, Verwaltungsprozesse zunächst unter die Lupe nehmen und dann
ganzheitlich digitalisieren und dabei Datensicherheit sowie den Einsatz von KI
nachhaltig und verantwortungsvoll gestalten. Sachsen-Anhalt hat die Chance, bei
der Verwaltungsdigitalisierung eine Vorreiterrolle zu übernehmen. Lasst uns
diese Chance gemeinsam nutzen!
Zustimmung
- Sebastian Lüdecke
- Stefan Schweigel